von Stephan Peukert
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7. März 2025
Immer wieder, stößt man während der Erziehung eines Hundes an seine Grenzen. In den meisten Fällen drehen sich die Gedanken um das Richtig und das Falsch. In diesem Beitrag möchte ich dazu anregen, weniger über das Richtig und das Falsch nachzudenken, als viel mehr über das Notwendige. Wie wichtig es dabei ist, die Erziehung von Menschen und die Erziehung von Hunden zu unterscheiden, könnte der Schlüssel sein, um auch das menschliche Verhalten zu verstehen. Anregung aus der Menschenwelt Angeregt zu diesem Beitrag wurde ich durch das Buch, „Der Junge, der wie ein Hund gehalten wurde.“, von Bruce D. Perry. In diesem Buch geht es um traumatisierte Kinder, die durch verschiedene Erlebnisse in der Kindheit zu auffälligen Kindern und sogar zu Mördern wurden. Neben den Darlegungen der verschiedenen Fälle, geht es hauptsächlich um die Erklärung, was im Gehirn der Kinder passiert sein könnte und um verschiedene Therapieansätze. In einem Kapitel geht es um den Jungen Justin. Justin war auf einer Pflegestation in einer Box untergebracht, da sich das Personal nicht weiter zu helfen wusste. Er schmieß mit Kot um sich und machte seltsame Geräusche. Außerdem konnte er weder sprechen, noch aufrecht laufen. In der Geschichte von Justin zeigte sich die Ursache für sein erlebtes Trauma. Seine 15 jährige Mutter gab das Kind zu Justins Großmutter, die ihn über alles liebte, aber aufgrund ihrer Fettleibigkeit bald starb. Der Partner der Großmutter fing deswegen an, sich um Justin zu kümmern. Arthur kannte sich allerdings nicht mit den Bedürfnissen von Kindern aus und zog ihn auf, wie einen Hund. Er wechselte ihm die Windeln, gab ihm Essen und nahm ihn ab und an zum Spielen raus, wie man das eben mit Hunden macht. An dieser Stelle wäre es spannend, auch etwas über die Hunde zu erfahren, worauf das Buch allerdings nicht eingeht. Bei solch einem Fall wie Justin wäre dieser Ansatz auch irgendwie fraglich, aber dennoch für uns Hundehalter sehr interessant. Nun hat sich gezeigt, dass Justin aufgrund seiner Erziehung in allen Bereichen vernachlässigt worden ist. Und da wird es spannend. Das Thema der Vernachlässigung Im Buch wird immer immer wieder davon gesprochen, dass den vernachlässigten Kindern eigentlich das fehlt, was für jeden irgendwie selbstverständlich ist. Wir nehmen das Kind wenn es weint in den Arm, wir füttern es, wir sprechen mit ihm, wir geben Zuneigung, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Wir wiegen es in unseren Armen und wir sind für es da, wenn es uns braucht. Für Menschen die selbst eine Vernachlässigung erfahren haben, sind viele dieser „normalen“ Dinge, äußert merkwürdig. Sich mitzuteilen scheint für viele Erwachsene eines der schwierigsten Aufgaben zu sein. So, dass man sich definitiv fragen kann, ob viele der Menschen, die in meine Beratung kommen, nicht auch eine Vernachlässigung erlebt haben. Im extrem überbehütenden Frauchen oder dem Herrchen, der nur das Beste für seinen Hund möchte, kann entweder ein kompensierender Mensch stecken, der das am Hund auslässt, woran es ihm selbst gemangelt hat oder einfach nur ein Mensch, der die oben genannten menschlichen Bedürfnisse einfach auf den Hund überträgt. In beiden Fällen, findet die Orientierung an den oben genannten Bedürfnissen unter Hunden wenig Verständnis. Der Unterschied zwischen Mensch und Hund Im Regelfall kommt ein Hund mit 12 Wochen zu den Menschen. Die meisten dieser Menschen haben kaum bis wenig Erfahrungen mit Hunden. Das trifft übrigens auch auf Menschen zu, die Kinder bekommen. Unsere Erfahrung im Bezug auf Kinder und Welpen ist häufig sehr gering. Dem entsprechend, greift der Mensch wahrscheinlich natürlich auf die eigene genetische Erziehung zurück, die sich schon allein vom Körperbau her von Hunden unterscheidet. Menschen können Kinder in den Arm nehmen, wohingegen Welpen von ihren Eltern nicht geschaukelt werden können. Die Nähe der Hündin zu ihren Welpen findet über das Ernähren und die Fellpflege statt. In keinen Fall über streicheln, jedoch schon über das nah beieinander Liegen. Was natürlich nicht bedeutet, den Hund nicht streicheln zu dürfen. Zur Erziehung von Hunden untereinander und das unterscheidet sie erheblich von der Erziehung von Kindern, gehört es, seinem Gegenüber mit seinen Zähnen Grenzen aufzuzeigen. In dieser Verhaltensweise steckt die Notwendigkeit, Grenzen körperlich zu erfahren. Und das ist natürlich für uns Menschen schwer zu akzeptieren. Sogar so schwer, dass wir ganze Bücher mit Theorien füllen, die diese Notwendigkeit der Erziehung leugnen. Wahrscheinlich aus dem oben genannten Problem von vernachlässigten Menschen, die ihren Mangel auf andere übertragen. Wer diesen Punkt nicht ganz an sich herankommen lässt, dem mag folgende Vorstellung helfen. Man stelle sich einmal vor, dass ein Mensch einen Orka erziehen soll und ihm alle Notwendigkeiten für das Überleben im Ozean beibringt. Wie lange würde es dauern, bis wir Menschen akzeptieren, dass uns das unmöglich ist. - Weil wir uns schlicht auf diesem Gebiet nicht auskennen. Das einzige was wir machen könnten, ist den Orka zu konditionieren und ihn von uns abhängig machen. Auch dafür gibt es verschiedene Beispiele. Das berühmteste ist der Orka Keiko aus den Filmen „Free Willy“. Der Unterschied in der Erziehung Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist, dass unsere Form der Erziehung, denen von Hunden, Wölfen oder Orkas nicht entspricht. Deswegen müssen wir in der Lage sein, uns auf unser Gegenüber einzulassen. Wenn wir zum Beispiel darüber nachdenken, warum heute so viele Hunde Probleme haben, könnte man das in ein Verhältnis zum Geburtenrückgang setzten. Ergo, ist der Hund der Ersatz für die menschlichen Bedürfnisse der Kindererziehung. Nur wäre dieses Bedürfnis besser bei einem Menschenkind als bei einem Welpen aufgehoben. Man stelle sich nur einmal diese Komplexität vor, wenn man gerade Vater und Mutter geworden ist und gleichzeitig noch versucht einen Welpen oder erwachsenen Hund zu erziehen. Das ganze System des Menschen stellt sich auf das Menschenkind ein, wohingegen der Hund ein klares Nein benötigt, dass er auch körperlich erfahren kann. Aus meiner Beratung kann ich unzählige Beispiele nennen, wo Hunde unter Menschen vermeintlich auffällig sind, sie aber unter Hunden wieder anfangen sich zu regulieren und den Rhythmus des Lebens finden. Diesen finden sie ganz einfach beim Menschen nicht, da wir eben den menschlichen Rhythmus verfolgen. Wenn wir jetzt eins uns eins zusammen zählen, könnte man davon ausgehen, dass die meisten Hunden heute von ihren Besitzern vernachlässigt werden. Das klingt absolut hart, scheint mir aber mehr an der Realität zu sein, als wir uns das wünschen sollten. Die Schlussfolgerung Auffälliges Verhalten von Kindern entsteht durch Vernachlässigung. Ergo entsteht auffälliges Verhalten des Hundes auch durch Vernachlässigung. Der Zusammenhang lässt sich noch darüber bestärken, dass Menschen, die in meine Beratung kommen, häufig Themen mit sich bringen, die ihnen nicht dabei geholfen haben, ein gesundes Selbstbild aufzubauen. Sie orientieren sich stark nach anderen, helfen permanent anderen, gehen dabei über ihre Grenzen und sind kaum in der Lage vernünftig zuzuhören. Auch das ist für mich ein deutliches Symptom, einer wie auch immer gearteten Vernachlässigung. Die Kunst des ZU|HÖR|ENS scheint mir einen ähnlichen Weg zu gehen, wie Bruce D. Perry in seinem Buch. Statt mich auf das Verhalten des Menschen oder des Hundes zu konzentrieren und es verändern zu wollen, ist es für mich erst einmal wichtig die Geschichte der beiden zu kennen, wohingegen die Geschichte des Menschen wesentlich wichtiger ist, als die des Hundes. Zum einen kennen wir die Geschichte des Hundes nur selten und zum anderen ist es wichtig, was das aktuelle Verhalten des Hundes wirklich mit den Menschen macht. Erst da, wo sich der Mensch dem Gespräch mir gegenüber öffnet, ist er in der Lage sich dem Hund zu öffnen. Genau diesen Prozess sehe ich bei Hunden immer wieder. Hunde die beim Menschen extrem ängstlich sind, ziehen unter Hunden eine absolute Show der Unwissenheit ab, wie sie sich richtig verhalten sollen. Sie gehen sogar in die Position, extrem zu provozieren. Auf der anderen Seite sehen wir auch bei Hunden manchmal ein Verhalten, das mehr an einen Welpen erinnert, als an einen ausgewachsenen Schäferhund. Wie beim Menschen gibt es auch unter Hunden unterschiedliche Geschwindigkeiten bei Entwicklungen. Trotzdem sollte man sich immer fragen, ob man eine hündische Erziehung praktiziert oder man sich in der Art und Weise seiner eigenen Erziehung verliert und an manchen Stellen einfach wirklich nicht weiß, was richtig ist. Da hilft meines Erachtens immer wieder der Blick zu Hunden, die uns durch ihr Verhalten genau so im Denken korrigieren, wie sie das untereinander machen. Natürlich ändert dieser Beitrag nichts daran, dass eine Hundeerziehung, die durch menschliches Denken dominiert ist, sich eine gewisse Position erarbeitet hat und die Vernachlässigung von Hunden gesellschaftsfähig gemacht hat. Eine Erziehung die immer das Spiel und den Spaß in den Vordergrund rückt, als die Befähigung mit sich selbst und dem Leben zurecht zu kommen. Argumente wie, Hunde wüssten genau, dass wir Menschen sind, deswegen dürfe der Mensch keinen Hund korrigieren, zeugen nur vom eingebildeten Zustand des Menschen, der den Hund zugleich schlau und im nächsten Satz wieder dämlich macht. Wenn der Hund weiß, dass wir Menschen sind, schließt es absolut nicht aus, dass er nicht wüsste was eine „Korrektur“ (ich mag diesen Begriff nicht) ist. Also bleibt es den Menschen eigentlich selbst überlassen, ob sie nun denken, dass Hunde schlau oder dämlich sind. Vielleicht spielt bei der Beurteilung dieser Frage, die eigene Verfassung des Menschen mehr eine Rolle, als das wirkliche Wesen des Hundes. In diesen Sinne menschlich bleiben und hündisch handeln. Vielen dank fürs Zuhören. *Ergänzung: Betrachtet man den oben eröffnetet Misstand, geht es gar nicht darum Welpengruppen zu kritisieren, sondern viel mehr darum, Hunde egal welchen Alters, genau wie Menschen egal welchen Alters, mit anderen zusammen zubringen, die ähnliche Probleme aufweisen. Zu häufig lässt sich allerdings beobachten, dass durchgeknallt Hunde mit durchgeknallten Hunden „spielen“. Genau wie Welpen, die noch nicht gelernt haben, die Grenzen anderer zu achten, lässt man sie aufeinander los ballern, ohne jemanden dabei zu haben, der für Grenzen sorgt. Auf der andere Seite erkennen wir häufig in menschlichen Beziehungen, dass diese erst aufgrund des vernachlässigten Zustands der Menschen entstehen können. Natürlich verstehen sich Menschen mit Problemen besser mit Menschen, die Probleme haben. Denn das ist ihr gemeinsamer Nenner. Auch hier wird es kritisch, wenn diese Probleme einander nicht fördern, sondern zum verzweifeln bringen, sodass man eben auch innerhalb der Beziehung auffälliges Verhalten feststellen kann, das sogar in Aggression kippen kann. Man hält also gemeinsam die eigene Vernachlässigung aufrecht, anstatt einen Partner zu wählen, der einem in bestimmten Situation unangenehm ist, weil er einen mit den eigenen Grenzen konfrontiert. Was ja zutiefst logisch ist. Doch, wie bei Justin, ist die Box nur eine vermeintliche Sicherheit, ohne die wirkliche Sicherheit in den Armen eines geliebten Menschen zu kennen.